Foto: SCC-RUNNING
Erfolgreiches Altern
Prävention im Alter durch
körperliche Aktivität
von
Jochen P. Ziegelmann & Sonia Lippke
Welche Bedeutung hat die Ausübung
regelmäßiger körperlicher Aktivität für ein erfolgreiches Altern und
wie kann der Alterungsprozess durch ausreichende Bewegung positiv
beeinflusst werden? Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden
gelten nicht nur als Attribute von Jugendlichkeit – bis ins hohe
Alter sind sie erstrebenswert und werden auch als Kriterien für ein
„erfolgreiches Altern“ verstanden. Doch trotz der bekannten
positiven Auswirkungen von körperlicher Ertüchtigung auf die
körperliche und seelische Verfassung sind in Deutschland zu wenige
Menschen in ausreichendem Maße aktiv.
In diesem Zusammenhang kommen altersspezifische
Maßnahmen zum Tragen, die ältere Menschen, die sich vornehmen,
körperlich aktiv zu werden, bestärken oder bei der Aneignung und
Aufrechterhaltung von körperlichen Aktivitäten unterstützend wirken.
Eine gute Absicht alleine reicht jedoch nicht aus – sie muss auch in
die Tat umgesetzt und die Kluft zwischen den guten Vorsätzen und der
konkreten Durchführung mit Hilfe von ausformulierten, detaillierten
Plänen überbrückt werden. In einem Kooperationsprojekt des
Arbeitsbereichs Gesundheitspsychologie mit dem Zentrum für ambulante
Rehabilitation konnte gezeigt werden, dass Patienten, die bei der
Planung ihrer körperlichen Aktivitäten Hilfestellungen bekamen, nach
ihrer Rehabilitation auch erfolgreicher in der Umsetzung dieser
Pläne waren.
Um nachweisbare positive Effekte für die
Gesundheit zu erzielen, wird derzeit empfohlen, an mindestens drei
Tagen pro Woche eine halbe Stunde körperlich aktiv zu sein, wobei
sich Atmung und Puls erhöhen sollten und man ins Schwitzen geraten
sollte, da regelmäßige körperliche Aktivität sowohl in Zusammenhang
mit einer niedrigeren Sterblichkeit steht als auch mit einem
niedrigeren Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen,
Krebserkrankungen, Osteoporose und Diabetes (Fuchs, 2003). Zudem
wird im Alter der funktionelle Abbau der Organe sowie des Halte- und
Bewegungsapparates verlangsamt. In Bezug auf die Leistungsfähigkeit
konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass bei Menschen zwischen dem
71. und 100. Lebensjahr durch ein achtwöchiges Krafttraining nicht
nur die Muskelkraft zunahm, sondern auch positive Auswirkungen auf
die Stimmung, die Lebenszufriedenheit und die Alltagskompetenz zu
verzeichnen waren. Nicht zuletzt wirkt sich körperliche Aktivität
auch auf die Verringerung von Depressionen und Angstzuständen aus
und geht mit verbesserten Gedächtnisleistungen einher. Während noch
in Publikationen der 1980er Jahre argumentiert wurde, dass jenseits
des 70. Lebensjahres durch körperliche Aktivität keine wesentlichen
Trainingseffekte erzielt werden können, ist heute nachgewiesen, dass
regelmäßige körperliche Aktivität den Gesundheitszustand unabhängig
vom Lebensalter positiv beeinflusst. Somit wird deutlich, dass bis
ins hohe Alter eine positive Veränderbarkeit (Plastizität) vorhanden
ist. Trotz dieser bekannten Vorteile, die sich alle auf wesentliche
Komponenten eines erfolgreichen Alterns beziehen, berichten
lediglich ungefähr 30 Prozent der älteren Erwachsenen, regelmäßig
aktiv zu sein, und nur die Hälfte der nicht-aktiven Älteren
beabsichtigt, aktiv zu werden.
Wie sich der Umfang des
Sportengagements vom frühen Erwachsenenalter bis ins hohe
Erwachsenenalter verändert, veranschaulichen Daten aus dem
Bundesgesundheitssurvey (siehe Abbildung 1: Mensink,
2002).
Abb. 1:
Aktivitätsverhalten von Männern (links) und Frauen (rechts) in
Abhängigkeit vom Lebensalter (Quelle: Mensink,
2002).
Aus diesen Abbildungen
ist für Männer und Frauen getrennt ablesbar, wie hoch in
verschiedenen Altersgruppen der Anteil ist, der
(a) nach dem
derzeitigen Sportkriterium ausreichend aktiv ist, der (b) gering
körperlich aktiv ist, aber die Empfehlung nicht erfüllt und der
(c) gar nicht aktiv ist.
Sowohl bei den Personen, die
das Kriterium erreichen, als auch bei den Personen, die nur in einem
geringen Ausmaß aktiv sind, lässt sich beobachten, dass sich die
Aktivitäten schon im frühen Erwachsenenalter (18 bis 39 Jahre)
reduzieren. Dieser Trend stagniert zwar im mittleren
Erwachsenenalter, verstärkt sich im hohen Erwachsenenalter jedoch
wieder. Dabei ist der Anteil der Männer, die sich nach den
Empfehlungen richten, in fast allen Altersgruppen doppelt so hoch
wie der Anteil der Frauen. Möchte man das Aktivitätsverhalten
beeinflussen, ist es bedeutsam, diese altersspezifischen Verläufe zu
berücksichtigen.
Kurt
Meyer (80) nimmt Maß zu seinem Tor des Jahres.
Um Menschen zur Aufnahme und dauerhaften
Ausübung von körperlichen Aktivitäten zu motivieren, müssen zunächst
Einflussgrößen identifiziert werden. Die Zusammenhänge zwischen
diesen Einflussgrößen sollten modellhaft beschrieben werden, wie es
zum Beispiel im Sozialkognitiven Prozessmodell des
Gesundheitsverhaltens (Schwarzer 1996) getan wird. Dieses Modell
unterscheidet zwei Phasen: In der ersten (motivationalen) Phase wird
der Prozess der Zielsetzung geschildert und in der zweiten
(volitionalen) Phase wird der Prozess der Umsetzung dieser Ziele in
konkrete Verhaltensmuster beschrieben. Um Förderungsprogramme
wirksamer zu gestalten, muss bekannt sein, in welchem Stadium des
Veränderungsprozesses sich eine Person befindet. In der
motivationalen Phase wirken drei Einflussgrößen auf die Zielsetzung
hin:
- Risikowahrnehmung
- Handlungsergebniserwartungen
- Selbstwirksamkeitserwartung
Bei der Risikowahrnehmung handelt es sich
um eine subjektive Einschätzung des Schweregrads von Erkrankungen
sowie der eigenen Verwundbarkeit („Wie hoch schätzen Sie die
Wahrscheinlichkeit ein, dass Sie irgendwann einmal eine schwere
Erkrankung bekommen werden?“). Das Vorhandensein von
Handlungsergebniserwartungen zeigt an, dass Personen den
Zusammenhang zwischen dem Gesundheitsverhalten und den positiven
oder negativen Auswirkungen dieses Verhaltens kennen („Wenn ich
regelmäßig körperlich aktiv bin, dann tue ich etwas Gutes für meine
Gesundheit.“). Die dritte Einflussgröße, die
Selbstwirksamkeitserwartung, ist die Überzeugung, ein schwieriges
Problem (wie zum Beispiel die regelmäßige Ausübung von körperlicher
Aktivität) aufgrund eigener Kompetenz erfolgreich lösen zu können
(„Ich bin mir sicher, dass ich wieder körperlich aktiv werden kann,
auch wenn ich mich nach einer Krankheit erstmal kraftlos
fühle.“).
Die Selbstwirksamkeitserwartung spielt nicht nur
bei der Zielsetzung eine zentrale Rolle, sondern auch bei der
späteren Planung und Umsetzung in konkretes Verhalten. Nachdem man
sich das Ziel gesetzt hat, körperlich aktiv zu werden, sind weitere
Schritte notwendig, damit dieses Verhalten aufgenommen und dauerhaft
aufrechterhalten wird. Zur Umsetzung von Zielen in Verhalten ist
eine genaue Planung des jeweiligen Verhaltens notwendig. Diese
Planungen können in zwei Aspekte unterteilt werden:
- Handlungsplanung und
- Bewältigungsplanung
Bei der so genannten Handlungsplanung wird
festgelegt, wann, wo und wie die Handlung (d.h. körperliche
Aktivität) ausgeübt wird, während bei der Bewältigungsplanung
spezifiziert wird, wie man trotz bestimmter Hindernisse aktiv werden
kann oder weiterhin aktiv bleibt. Aus zahlreichen Studien ist
bekannt, dass man das Erreichen von Zielen (wie z.B. die Ausübung
von regelmäßiger körperlicher Aktivität) durch das Formulieren
einfacher Handlungspläne (d.h. zu planen, wann, wie und wo man aktiv
ist) günstig beeinflussen kann. Mit diesen Handlungsplänen werden
bestimmte Situationen mit dem gewünschten Verhalten verknüpft (z.B.
„Immer wenn ich abends nach Hause komme, mache ich
Gymnastik.“).
Wer
sportlich aktiv ist, hat sich auch eine Pause verdient. (Foto:
Lippke)
Es wird davon
ausgegangen, dass diese Handlungspläne die Kontrolle des Handelns
von der Person weg an die Umwelt abgeben, d.h. die Ausübung des
Verhaltens verläuft weitgehend automatisch. Es ist anzunehmen, dass
der Abbau bewusster Informationsverarbeitung im höheren Lebensalter
durch die vermehrte Inanspruchnahme solcher automatischer Prozesse
ausgeglichen werden kann. Statt also zu versuchen, ältere Menschen
darin zu unterstützen, sich nur an die Ausübung ihrer
Sportaktivitäten zu erinnern, scheint es lohnenswerter,
Planungs-Interventionen zu entwickeln.
Tabelle 1: Prozesse der Selektion,
Optimierung und Kompensation (mit Beispielaussagen für den Bereich
der körperlichen Aktivität)
Diese sollten über das Ausformulieren der oben
beschriebenen Handlungspläne automatische Prozesse fördern und auf
diese Weise dazu beitragen, dass die Absicht, körperlich aktiv zu
sein, auch tatsächlich umgesetzt wird. Da ältere Menschen jedoch
Probleme haben, medizinische Verhaltensempfehlungen in solche
konkreten Handlungspläne zu übersetzen, ist es sinnvoll, diesen
Planungsprozess zu unterstützen – beispielsweise durch geschulte
Interviewer, die in einem Dialog mit dem älteren Menschen einen
Handlungsplan entwickeln. Bei eventuell auftretenden Barrieren
können dann die einfachen Handlungspläne durch Bewältigungspläne
vervollständigt werden. In diesen Bewältigungsplänen wird
spezifiziert, wie man trotz bestimmter Hindernisse, wie zum Beispiel
gesundheitlicher Einschränkungen, geplante Aktivitäten durchführen
kann.
Auch die für den Bereich der körperlichen Aktivität
ausformulierten Strategien Selektion, Optimierung und Kompensation
(SOK: Baltes & Baltes, 1990) sind wichtige Einflussgrößen bei
der Aufnahme und Aufrechterhaltung von körperlicher Aktivität. Das
Modell der Selektion, Optimierung und Kompensation beschreibt, wie
angesichts auftretender Verluste im Laufe einer bestimmten
Lebensspanne (zum Beispiel Verschlechterung des
Gesundheitszustandes) wichtige Ziele dennoch erreicht werden können.
In Tabelle 1 sind die einzelnen Strategien des SOK-Modells erläutert
und beispielhaft für den Bereich der körperlichen Aktivität
aufgeführt.
Daraus wird ersichtlich, dass bei vorhandenen
zielrelevanten Ressourcen die Strategien der „Elektiven Selektion“
und der „Optimierung“ zum Einsatz kommen, während bei einem Verlust
an Ressourcen die „verlustbasierte Selektion“ und die „Kompensation“
im Vordergrund stehen. Die Strategien „verlustbasierte Selektion“
und „Kompensation“ sind unter anderem für die oben genannten
Bewältigungspläne von Bedeutung, da hier der Umgang mit
Verlustsituationen geplant wird („Hindernisse, körperlich aktiv zu
sein“).
In Bezug auf die Planung von körperlicher Aktivität
sind altersgerechte Interventionen möglich, indem man gezielt die
Überwindung von altersspezifischen Barrieren bei der
Bewältigungsplanung anspricht (zum Beispiel „Wenn ich mich alt und
gebrechlich fühle, dann trainiere ich mit einem Partner, der mir
hilft“). Dieses Interventionsprinzip wird bereits in Kooperationen
des Arbeitsbereiches Gesundheitspsychologie mit
Rehabilitationseinrichtungen, wie dem Zentrum für ambulante
Rehabilitation in Berlin Mitte, erfolgreich angewandt. In
detaillierten Handlungsplänen wird spezifiziert, welche Aktivität
wann, wie und wo durchgeführt wird. Durch individuelle
Bewältigungsplanung wird festgelegt, wie man trotz bestimmter
Hindernisse körperlich aktiv sein kann. Je nach Altersgruppe können
hier unterschiedlichste Hindernisse auftreten: Berufstätige fühlen
sich beispielsweise nach der Arbeit zu müde, um aktiv zu werden. Bei
älteren Erwachsenen sind eventuell im Wohnumfeld nicht genügend
altersgerechte Sportmöglichkeiten vorhanden oder sie fühlen sich zu
schwach, um Sport zu treiben. Durch angeleitetes Planen kann auf
solche Hindernisse gezielt eingegangen werden und
Lösungsmöglichkeiten können gefunden werden, damit die körperliche
Aktivität dennoch ausgeübt werden kann. Insbesondere zeigt sich in
unseren Forschungsergebnissen, dass ein durch Interviewer gestütztes
Planen dazu beiträgt, dass bereits in der Rehabilitation eine
längere Dauer von körperlichen Aktivitäten geplant wird. Zwei Wochen
nach der Rehabilitation zeigte sich dann, dass die Gruppe, die von
einem Interviewer unterstützt wurde, auch tatsächlich in einem
größeren Ausmaß körperlich aktiv war als die Gruppe, die ihre
Aktivitäten alleine geplant hatte (siehe Abbildung 3).
Abbildung
3: Unterschiede in der Sportaktivität bei selbstständiger und
angeleiteter Planung. (Abb.: Autoren)
Da derartige Planungsstrategien und
Planungshilfen angesichts abnehmender physischer Leistungsfähigkeit
im hohen Alter die Aufnahme oder Aufrechterhaltung eines körperlich
aktiven Lebensstils begünstigen können, sind sie für ein
erfolgreiches Altern von besonderer Bedeutung. Lassen sich ältere
Menschen dagegen von negativen Altersstereotypen beeinflussen und
sich in ihren Aktivitäten entsprechend einengen, dann können
wichtige Ressourcen und Kompetenzen verloren gehen. Kommt es jedoch
zu einer regelmäßigen und dauerhaften Ausübung von körperlicher
Aktivität, dann sind verschiedene positive Auswirkungen zu erwarten,
wie zum Beispiel die Verbesserung der körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit, die Reduktion von Risikofaktoren, sowie positive
psychosoziale Auswirkungen. Diese positiven Auswirkungen sind
wiederum wichtige Ressourcen für die zukünftige Ausübung von
Gesundheitsverhalten – wie zum Beispiel körperlicher
Aktivität.
Internetadressen zum Thema http://www.fu-berlin.de/age http://www.fu-berlin.de/gesund http://www.richtigfit-ab50.de
Glossar:
Erfolgreiches Altern (Kriterien): Lebensdauer, körperliche sowie
seelisch-geistige Gesundheit, soziale und gesellschaftliche
Produktivität, psychosozialer Entwicklungsstand, Lebenssinn,
Lebenszufriedenheit und persönliche
Handlungskontrolle.
Sozialkognitives Prozessmodell des
Gesundheitsverhaltens:
Beschreibt über die Absichtsbildung, die Verhaltensplanung,
sowie die Initiierung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung
von Verhalten den gesamten Prozess der Verhaltensänderung
anhand sozialkognitiver Einflussgrößen.
Selektion, Optimierung und Kompensation
(SOK-Modell): Als Meta-Modell
erfolgreichen Alterns liefert das SOK-Modell einen
theoretischen Rahmen für das Verständnis von
Entwicklungsprozessen in verschiedenen Lebensphasen und
Bereichen, während es in seiner handlungstheoretischen Version
ein allgemeines Modell der Zielsetzung und –verfolgung
darstellt.
Literatur:
Baltes, P. B., & Baltes, M. M.
(1990). Psychological
perspectives on successful aging: The model of selective
optimization with compensation. In P. B. Baltes & M. M.
Baltes (Eds.), Successful Aging: Perspectives from the
Behavioral Sciences (pp. 1 – 33). New York: Cambridge
University Press.
Fuchs, R.
(2003). Sport, Gesundheit und
Public Health. Göttingen: Hogrefe.
Kruse. A. (2002).
Gesund Altern. Stand der Prävention und Entwicklung
ergänzender Präventionsstrategien. Baden-Baden:
Nomos.
Mensink, G.
(2002). Körperliches
Aktivitätsverhalten in Deutschland. In G. Samitz & G.
Mensink (Hrsg.), Körperliche Aktivität in Prävention und
Therapie (S. 35 – 44) München: Hans Marseille Verlag
GmbH.
Schwarzer, R.
(1996). Psychologie des
Gesundheitsverhaltens (2. Aufl.). Göttingen:
Hogrefe.
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